Provenienzforschung zu NS-Raubgut im Museum am Rothenbaum (1. Projekt)

Erste systematische Überprüfung ausgewählter Bestände
Laufzeit 1. Juni 2021 bis 31. Mai 2023
Inhalt dieses auf zwei Jahre angelegten Provenienzforschungsprojekts, gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg, war die systematische Überprüfung ausgewählter Bestandsgruppen in den Objektsammlungen des Museums am Rothenbaum (MARKK). Die Eingrenzung für dieses erste Projekt zur Überprüfung der Sammlungen auf NS-Raubgut waren bereits zuvor als Verdachtsfall auf NS-verfolgungsbedingten Entzug eingestufte Bestände, die in der laufenden Museumsarbeit erkannt worden waren. Überprüft wurden bereits bestehende Verdachtsfälle für einzelne Sammlungsbestände sowie europäische Judaica und sammlungsübergreifend Objektüberweisungen öffentlicher Einrichtungen nach 1945. Sie wurden nach Aktenlage und auf Grundlage weiterer Dokumentation recherchiert, dokumentiert und im Ergebnis belegt. Untersuchungsgegenstand waren ihre Sammlungs- und Erwerbsgeschichte sowie zu einzelnen Stücken Objektgeschichte und spezifische Provenienzmerkmale.
Die heute in der Sammlung befindlichen europäischen Judaica wurde vollständig, also unabhängig vom Zeitpunkt des Erwerbs durch das Museum untersucht. Überprüft wurde der Eingangsstatus wie Ankauf, Schenkung oder Leihgabe sowie Vorbesitzer:innen und Überbringer:innen, um Änderungen im Besitzstatus zwischen 1933 und 1945 für alle diese Objekte als unrechtmäßig, kritisch oder auch unbedenklich einordnen zu können. Die für diese Kategorie identifizierten Objekte stammen aus privatem Besitz, dem Ethnografika- und Kunsthandel oder aus institutionellem Besitz und gelangten überwiegend vor 1933 und in Einzelfällen nach 1945 in das Museum. Der Großteil des Bestandes kann im Kontext NS-Raubgut als unbedenklich im Erwerb eingeordnet werden. Einige Objekte sind jedoch als eindeutige Verdachtsfälle auf unrechtmäßigen Besitzwechsel eingeordnet, da jedoch (noch) Nachweise darüber fehlen bestehen für sie noch sogenannte Provenienzlücken. Ein Objekt ist als unrechtmäßiger Verbleib in den Museumsversammlungen bestätigt.
Zu den Judaica mit Verdacht auf einen NS-Raubgut-Status gehören auch neun Objekte aus der Sammlung der Gesellschaft für jüdische Volkskunde sowie in Teilen ein Konvolut Silberobjekte aus jüdischem Besitz. Die Objekte der Gesellschaft für jüdische Volkskunde gelangten 1991 als Überweisung aus dem Altonaer Museum in das damalige Museum für Völkerkunde. Grund für diese Überweisung war, dass sich dieser Bestand nachweislich zu einem früheren Zeitpunkt bereits hier befunden hatte: Die ursprünglich über 400 Objekte umfassende Sammlung war 1913 in das Völkerkundemuseum als Leihgabe gelangt, ein Status, den sie beibehielt. 1937 wurde die Sammlung an die Gesellschaft zurückgegeben, danach verlieren sich die Spuren. Nach 1945 waren die heute vorhandenen neun Objekte jedoch Bestandteil der Sammlungen in Altona, es fehlt jedoch bisher ein Nachweis, wann und unter welchen Bedingungen sie in das dortige Museum gelangt sind. Die Geschichte dieser Sammlung wird nun in einer Online-Ausstellung der Plattform Schlüsseldokumente in Kooperation mit dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden erzählt.
Weiter befinden sich im MARKK Silberobjekte aus jüdischem Besitz. Diese gehören zu den durch das Deutsche Reich zwangsenteigneten Wertgegenständen, die jüdische Mitbürger:innen 1939 in öffentlichen Leihhäusern zwangsweise veräußern mussten. Eigentlich zur Einschmelzung bestimmt, kaufte die Stadt Hamburg einen umfänglichen Bestand auf diese Weise konfiszierter Silberbestände 1940 vom Deutschen Reich an und verteilte sie auf die städtischen Museumssammlungen. Ab 1945 wurden die Objekte auf Anweisung der britischen alliierten Stellen wieder zusammengezogen und mit dem Ziel einer Rückgabe an die Besitzer:innen zentral bis 1959 von der Stadt verwaltet. Betraut wurde mit dieser Aufgabe der Hamburger Kustode Carl Schellenberg (1898-1969), der bereits 1940 beratend an der Auswahl für den Ankauf und bei der Zuordnung beteiligt gewesen war. Verwahrt wurden diese Bestände in einem Tresor im Hamburger Rathaus. Dort konnten nach ihrem Besitz suchende Personen sie gemeinsam mit Carl Schellenberg besichtigen. 1961 wurden die noch verbliebenen Objekte nach einer Ablösezahlung zugunsten der Jewish Trust Corporation Besitz der Stadt Hamburg und in Teilen an die jüdische Gemeinde und erneut an die Museen überwiesen. Der Bestand im Museum am Rothenbaum umfasst 44 dieser Objekte, die der Europa-, Westasien- und Amerikas-Abteilung zugeordnet sind.
Für alle genannten Objekte wurden Provenienzmerkmale wie Stempel, Monogramme und Inschriften dokumentiert und die kritischen Bestände sukzessive an die Datenbank Lost Art des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste gemeldet.
Da sowohl die Objekte der Gesellschaft für jüdische Volkskunde als auch die Silberbestände als Überweisungen aus öffentlichen Einrichtungen nach 1945 in das Museum am Rothenbaum gelangten, wurden in der Konsequenz systematisch alle Bestände mit diesem Status auf ihre Provenienzen zwischen 1933 und 1945 hin überprüft. Sie umfassen überwiegend ethnografische Bestände aus allen regionalen Sammlungsbereichen und kamen über Museen, Behörden, Institute oder Hochschulen ins Museum. Viele davon sind für die Zeit 1933 bis 1945 nicht bedenklich, und für einen weiteren Teil bestehen weiterhin bisher nicht klärbare Provenienzlücken. Unter den wenigen nachweislich als kritisch einzuordnenden Beständen befindet sich eine Sammlung slowakischer Textilstücke, ebenfalls eine Überweisung aus dem Altonaer Museum Anfang der 1970er Jahre. Laut Altonaer Dokumentation handelt es sich um eine Schenkung der Kölner Kunsthändlerin Elfriede Langeloh 1940, von der als Herkunft der Objekte die Sammlungen der Hamburgerin Emma Budge angegeben wurde. Emma Budge besaß eine umfangreiche, vielfältige und wertvolle Kunstgewerbe- und Kunstsammlung, die sie gemeinsam mit ihrem 1928 verstorbenen Ehemann Henry Budge aufgebaut hatte. Beide stammten aus jüdischen Familien. Als bedeutende Mäzenin hatte Emma Budge ihre Sammlungen für die Stadt Hamburg bestimmt, änderte jedoch nach 1933 in Reaktion auf die politische Situation mehrfach ihr Testament. Nach ihrem Tod wurde ihre Sammlung 1937 unter Wert im Berliner Auktionshaus Graupe / Lange versteigert. Damit sind museale Objektbestände mit der Provenienzangabe Emma und Henry Budge immer als eines unrechtmäßigen Erwerbs verdächtig zu betrachten. Mehrere Objekte konnten von verschiedenen Häusern in den vergangenen Jahren identifiziert und an die Erbengemeinschaft restituiert werden. Der Textilbestand im MARKK konnte allerdings bisher nicht zugeordnet werden. Da nicht auszuschließen ist, dass bekannte Namen zur Aufwertung von Beständen im Handel benutzt wurden, besteht hier eine Provenienzlücke.
Weitere ethnografische Einzelsammlungen waren bereits vor Projektantrag beim Zentrum in der regulären Sammlungsbearbeitung aufgefallen und als verdächtig markiert worden. Einer dieser Fälle konnte bereits im ersten Projektjahr abschließend recherchiert, eingeordnet und dokumentiert werden: 1941 erwarb das damalige Museum für Völkerkunde über eine Versteigerung des im Hamburger Hafen von der Gestapo konfiszierten Übersiedlungsguts von Johanna Ploschitzki (1887 Berlin – 1981 Santa Monica, CA, USA) – nach Emigration und Wiederverheiratung in den USA Hansi Share – unter anderem sieben ostasiatische Objekte. 1951 wurden im Ergebnis eines mehrjährigen und für Hansi Share aufwendigen Rückerstattungsverfahrens vom damaligen Museum für Völkerkunde sechs dieser Objekte sowie eine Sammlung Bücher zurückgegeben. Nicht rückerstattet wurde der Kopf einer Buddha-Skulptur (Inv. Nr. 41.36:1) aus dem Besitz von Hansi Share. Der Kopf verblieb im Depot, bis im Herbst 2019 Ausstellungskuratorinnen des MARKK bei Objektsichtungen für die Ausstellung „Steppen und Seidenstraßen“ auf die Statue und die Bestandsgeschichte aufmerksam wurden. Restitutionsersuchen seitens der Erbengemeinschaften und einer juristischen Überprüfung seitens der zuständigen Behörde für Kultur und Medien und der anwaltlichen Vertretungen folgte am 10. Juni 2024 die offizielle Restitution des Kopfes einer Buddhastatue an die Erbengemeinschaft.
Für alle in diesem Projekt untersuchten Bestände lag zunächst der Schwerpunkt auf einer strukturellen Einordnung sowie Recherchen zu Kontext und relevanten Archivbeständen, beginnend mit dem Archiv des MARKK und im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg. In der Folge wurden die Recherchen je nach Anforderung der Bestände erweitert und vertiefende Recherchen erfolgten in weiteren Archiven innerhalb und außerhalb Hamburgs. Da das Projekt mit der Covid-Pandemie zusammenfiel, war dies zum Teil vor Ort nur mit Einschränkungen möglich, allerdings waren Onlinerecherchen durchaus ergebnisreich, zumal der digitale Bereich weiter erstarkte.
Die Ergebnisse des Projekts werden auf der museumseigenen Website, bei Veranstaltungen und im Rahmen von Ausstellungen und Projekten vorgestellt. Geplant ist ferner eine Onlinestellung der Sammlungsbestände.
Das Forschungsprojekt wurde vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert und wird dort abschließend in die Forschungsdatenbank Proveana integriert. Grundlage der geförderten Provenienzforschung zu NS-Raubgut sind die Washingtoner Prinzipien von 1998. Zu deren Umsetzung, und damit auch zur Förderung von Provenienzforschung zu NS-Raubgut in öffentlichen Sammlungen, hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit derGemeinsamen Erklärung von 1999 bekannt .
Kontakt:
Jana C. Reimer
Provenienzforschung NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut
fon +49(0)40/428 879–551
mail janacaroline.reimer@markk-hamburg.de
Projektlaufzeit: 1. Juni 2021 bis 31. Mai 2023
Gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste